Auszug aus der Dharma-Rede, die Zen-Meister Dae Kwang anlässlich des Wochenend-Retreats am 15. Juli 2022 im Vienna Zen Center gehalten hat. *
Darf ich Sie fragen: Was hat Sie dazu bewegt, ein Mönch zu werden? Welches Gefühl oder welcher Gedanke lag dieser Entscheidung zugrunde?
Dae Kwang, SSN: Wenn du darüber nachdenkst, was in deinem Leben vor sich geht, dann gibt es immer diese drei Dinge: Alter, Krankheit und Tod. Sie bringen dich dazu, dich zu fragen, was du eigentlich willst und warum du dies willst. Im Zen geht es darum, sein wahres Selbst zu finden und der Welt zu helfen. Was die Meditation bewirkt, ist, dass sie eigentlich nichts für dich tut, aber sie legt dir offen, was tatsächlich vor sich geht. Was willst du also?
Mein Leben und meine Entscheidung, Mönch zu werden, sind nichts Besonderes. Mir sind die gleichen ärgerlichen Dinge wie anderen Leuten widerfahren – also habe ich mich gefragt, was ich tun kann. Die Entscheidung für das Leben als Mönch ist nichts Besonderes, sondern nichts weiter als eine Art Technik. Mein Vorredner sprach über die Taucher und deren Atemtechniken. Die Atmung ist eine Technik, die wir im Buddhismus sehr oft anwenden. Der Buddha hat diese Art von Technik angewandt, weil er nicht wusste, was er sonst hätte tun können. Wenn man sich Alter, Krankheit und Tod ansieht – was zum Teufel soll man da tun? Selbst wenn du gesund bist, wirst du sterben, und alle um dich herum werden sterben, und alles, was du willst, wird weg sein. Als Buddhisten fassen wir diesen ganzen Kram mit den Begriffen „Alter“, „Krankheit“ und „Tod“ zusammen.
Der Buddha sieht also (bevor er zum Buddha wird) einen alten Menschen, einen kranken Menschen, und dann sieht er sogar einen toten Menschen am Straßenrand liegen. Das ist interessant, denn wenn man im Westen tote Menschen sieht, sind sie normalerweise sehr gut gekleidet. Sie sind gut geschminkt. Die Verpackung ist schön. Als ich zur Beerdigung meiner Mutter ging, sah ich sie an, und sie hatte seit etwa 15 Jahren nicht mehr so gut ausgesehen. Das hat mich wirklich getroffen. So ist das Leben. Du denkst immer „ich will dieses oder jenes“. Aber wenn du dir dieses „Ich will etwas“ ansiehst, wirst du feststellen, dass es zu nichts führt. Der Buddha bemerkte jedoch, dass es dazu führt, dass wir leiden.
Wenn man seinen Geist genau beobachtet, bemerkt man, dass dieser Geist ständig etwas verlangt – manchmal bekommt er es auch und manchmal bekommt er es nicht. Oder es geht sehr schnell wieder vorüber.
Zen-Meister Seung Sahn sagte immer: „Eine gute Situation ist eine schlechte Situation.“ – Nun, das macht doch keinen Sinn…?! – Jede/r strebt doch nach einer guten Situation? – Aber wenn du dir diese „guten Situationen“ genauer ansiehst, kannst du beobachten, dass sie sich sehr rasch in ungünstige Situationen verwandeln und dass sofort neue Wünsche nach einer noch besseren Situation aufkommen. Dies geschieht unweigerlich. Dies hat der Buddha bemerkt: Es hat ihm Angst eingejagt und er verließ sein bequemes Zuhause. Auch mir hat dies Angst eingejagt, genauso wie jeder und jedem einzelnen von uns hier Angst einjagt. Denn darum seid ihr ja da – das ist kein Zufall!
Simple Technik
Buddha benutzte diese sehr, sehr, sehr einfache Technik: „Atme einfach ein und aus und sei aufmerksam.“ Das ist ganz simpel. Euch dies zu zeigen, geht schneller, als diesen Satz zu formulieren. Denn ihr kennt es gut, ihr wisst es in euren Köpfen, aber ihr vollzieht es nicht. Das aufmerksame Atmen ist also eine Art Technik.
Und dann gibt es im Soto-Zen eine noch einfachere Technik. Man achtet nicht auf die Atmung, man ist einfach nur aufmerksam. Das ist der chinesische Stil der Meditation. Er ist so simpel, dass niemand ins Zen-Zentrum kommen würde, wenn wir ihn dies lehren würden, weil es zu einfach ist. Zen-Meister Seung Sahn wurde einmal gefragt: „Warum ist Zen so schwierig? Viele Leute hören damit schon bald wieder auf. Warum ist das so?“ – „Nun, das liegt daran, dass es so langweilig ist!“ (lacht).
Tatsächlich lehren wir die Menschen, sich zu langweilen. Wenn ihr jetzt an diesem Retreat teilnehmt, werdet ihr feststellen: „Mensch, das ist ganz schön langweilig!“ – Wir werden hier sitzen und eine halbe Stunde lang auf den Boden schauen! (lacht.) (…)
Unsere Techniken in der Kwan Um Zen Schule sind ein wenig komplizierter. Wir atmen weiter. Das ist eine gute Idee (lacht). Wir bringen euch also eine Atemtechnik bei. Außerdem leiten wir euch dazu an, aufmerksam zu sein. Oft geben wir euch einen Satz oder lassen euch beim Atmen ein Mantra wiederholen, etwas, das ihr versteht oder nicht versteht. Zen-Meister Seung Sahn hat zum Beispiel das Große Dharani gesungen. – All dies sind nur Techniken, um das zu bewahren, was wir einen “Just Now-oder Jetzt-Geist“ nennen.
Wirklich gute Croissants
Du bist also in Paris und kaufst ein paar wirklich gute Croissants. Nicht diese gefälschten Croissants, wie sie in Österreich oder New York City oder San Francisco, wo ich herkomme, verkauft werden. Du denkst immer so. Dein Verstand schießt einfach irgendwo hin, und dann ist es ganz einfach, ins Jetzt zurückzukehren. Das ist zu einfach. Aber es gibt etwas Interessantes am Jetzt. Und das Interessante am Jetzt ist, dass selbst ich, wenn ich euch das sage, schockiert bin:
Gib mir eine Sekunde der Vergangenheit. Nur eine. Und dann gib mir eine Sekunde aus der Zukunft. Dieselbe Geschichte, richtig? – In der Zukunft werde ich ein berühmter Zen-Meister und ziehe nach Texas. Okay, das ist eine gute Idee. Das ist also eine Sekunde der Zukunft. – Aber diese Sekunde der Zukunft hast du nicht im Jetzt. Was hast du dann? Das Jetzt, richtig? – Das ist die dritte Möglichkeit. Gib es mir das Jetzt sofort! Das kannst du auch nicht, oder? (lacht)
So ist es immer: „Oh, Zen ist so negativ. Zen behauptet, dass alles leer ist und dass es nichts gibt.“ – Nun, alles, was Zen will, ist der Versuch, dir zu beschreiben, was du eigentlich bist, nämlich dieses (klatscht in die Hände) „Moment“-Ding, das du mir offensichtlich nicht geben kannst.(…)
Der Buddha hat also diese große Frage: „Was bin ich?“ Und er sitzt sechs Jahre lang, praktiziert sechs Jahre lang. Er ist so frustriert von den verschiedenen Lehrern, die ihm begegnet sind, und von der Ergebnislosigkeit seiner Suche, dass er sich schließlich unter einen Baum setzt. Gegen Ende dieser sechs Jahre blickt er eines Morgens auf, sieht den Morgenstern und dann – BOOM! – wird es ihm klar: „Das ist es! Das ist cool!“ Und dann sitzt er weiter da: „Mann, ist das toll! Es gibt nichts anderes als das Just Now!” (…)
Hilf den Menschen!
Es gibt eine gute Geschichte über einen Hindu-Gott namens Chakra, der irgendwo oben im Hindu-Himmel lebt, und er schaut hinunter und sieht den Buddha – den Idioten, der unter diesem Baum sitzt und den Moment genießt. Chakra kommt auf die Erde herunter, stellt sich vor den Buddha und sagt: „Du musst aufstehen und den Menschen helfen!“ – Buddha sagt nichts, aber Buddha hört, was der Gott sagt. Der Gott begreift das und schwebt zurück in den Himmel. Daraufhin steht der Buddha auf und verbringt den Rest seines Lebens damit, den Menschen zu helfen.
Fort mit dem „Ich will etwas“!
Im Buddhismus feiern wir normalerweise die Geburt des Buddha. Wir feiern die Erleuchtung des Buddha, und seltsamerweise feiern wir auch den Tod des Buddha. Aber wir feiern nicht das Wichtigste, nämlich die Tatsache, dass er aufgestanden ist und den Menschen geholfen hat. Deshalb habe ich der Regierung von Singapur vorgeschlagen, dass wir einen neuen Feiertag brauchen. Er heißt Get Up Day und ist eigentlich der wichtigste Feiertag des Jahres. Viele Leute wissen das noch nicht, aber irgendwann wird es ihnen klar werden. Das ist es, was ihr in diesem Moment tut, um der Welt zu helfen!
Buddhismus bedeutet also, sein wahres Selbst zu finden. Also wie Buddha den Stern zu sehen und zu erkennen: „Oh, das ist es, was ich wirklich bin, in diesem Moment“, und dann aufzustehen, um zu helfen. Das ist der ganze Buddhismus. Es ist sehr, sehr einfach. Eigentlich macht es keinen Unterschied, welche Techniken man anwendet. Sich über Techniken zu streiten, führt zu nichts. Schließlich geht das moderne Zen auf den 6. Patriarchen zurück. Er hat keine Technik praktiziert. Er ging einfach an einem Mönch vorbei, der in der Ecke stand und ein Sutra las. Er hörte sich eine Zeile davon an, und dann – BOOM! Das ist der Ursprung des gesamten Zen.
Das Problem liegt also nicht im Praktizieren. Das Problem liegt in der Frage, „wofür tun wir es?“ Wir sind hier, um zu praktizieren. Es soll nicht völlig unangenehm sein. Es ist auch nicht dazu gedacht, angenehm zu sein. Das nennt man den Mittleren Weg. Er ist nicht zu schwer, er ist nicht zu leicht. Die meiste Zeit, in der man durch das Leben geht, kann es leicht oder schwer sein, aber es dreht sich darum, dass ich etwas will. Wenn du also das „Ich will etwas“ wegnimmst und es einfach tust, wie es in der Reklame für Nike-Schuhe heißt, Just do it!, dann bekommst du dieses wunderbare Resultat und kannst es nutzen, um der Welt zu helfen.
Just do it!
Das ist also der Sinn der ganzen Angelegenheit. Techniken sind Hilfsmittel. Das Wichtige aber ist das „Wofür?“ bzw. das „für wen?“. (…) Das ist die wichtige Frage. Das ist Buddhismus.
Mahayana-Buddhismus bedeutet: große Liebe, großes Mitgefühl und Bodhisattva-Handeln.
Kurz: Die Technik ist gar nicht so wichtig. Wichtig ist, den Menschen zu helfen.
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*Dank an Lubot Kosut für Aufnahme und Transkription, Dank an Knud und Chris für die Revision, Übersetzung und Einrichtung zum Druck.
Links:
- Wochenend-Retreat mit ZM Dae Kwang @ Vienna Zen Center
- Dharma Talk of ZM Dae Kwang at the Vienna Zen Center 2014 (YouTube + Audio).