Transmission Ceremony: Hyon Ja SSN Kwan um Zen School Europe/Zen Centre Vienna Zen Centre Vienna, Sept 26, 2020

(Hebt den Zen-Stock über ihren Kopf und schlägt mit dem Stock auf den Tisch.)

Der 6. Patriarch sagte zu Fada:

Wenn dein Mund ein Sutra rezitiert, und Dein Geist schläft dabei, dann dreht dich das Sutra um.

Wenn dein Mund rezitiert und dein Geist ist dabei wach und praktiziert, dann drehst du das Sutra um.

(Hebt den Zen-Stock über ihren Kopf und schlägt mit dem Stock auf den Tisch.)

Kein Sutra,

Keine Praxis,

Kein Dreh.

(Hebt den Zen-Stock über ihren Kopf und schlägt mit dem Stock auf den Tisch).

Was sollen wir tun?

KATZ!

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Alte und neue Freunde erscheinen auf dem Bildschirm, während wir alle an dieser Zoom-Übertragung teilnehmen und einander auf diese Weise begegnen dürfen.

Zunächst möchte ich meinen Dank an alle gegenwärtigen, früheren und zukünftigen Lehrer sowie an die gesamte Sangha aussprechen.

Da die Pandemie derzeit eine persönliche Begegnung verhindert, haben wir uns für die Abhaltung einer Internet-Zeremonie in Echtzeit mithilfe einer Konferenz-Streaming-Software entschieden – eine absolute Premiere! Wir setzen uns damit der möglichen Kritik aus, eine solche Durchführung des Transmission-Zeremoniells entspreche nicht der Tradition.

Als Zen-Praktizierende bin ich allerdings davon überzeugt, dass wir uns in der jetzigen Situation aller verfügbaren technischen Mittel bedienen sollten, um gemeinsam die Chance des Aufwachens zu ergreifen: Entsprechend hoffe ich, dass wir die ehrwürdige Tradition – zumindest in technischer Hinsicht – einstweilen bei den Schuhen vor der Türe ruhen lassen und das Zusammensein auskosten dürfen!

Und doch ist diese neue mediale Form des Gemeinsam-Feierns von Bedeutung, denn sie zeugt von unserem Bestreben, auf Ungeplantes zu reagieren und uns auf neue Situationen einzustellen. Also haben wir experimentiert, uns technische Fähigkeiten angeeignet und uns mit neuen Werkzeugen vertraut gemacht – und schließlich einen Weg gefunden, zueinander zu finden. Nun blicken wir auf diese vielen kleinen Fenster auf dem Bildschirm und grüßen einander: Auf diese Weise treffen wir viele Dharma-Freunde, die wir lange nicht gesehen haben!

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Diese Transmission-Zeremonie war ursprünglich für April diesen Jahres geplant. Das Wiener Zen-Zentrum hatte alles vorbereitet: Mehr als hundert TeilnehmerInnen hatten sich angemeldet, ein Festsaal war reserviert, Hotelzimmer gebucht, mexikanisches Essen bestellt und sogar ein Salsa-Lehrer für die anschließende Party angeheuert worden. Doch dann kam die Corona-Pandemie und die Welt änderte sich mit einem Schlag: Von heute auf morgen waren sämtliche Pläne durchkreuzt.

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Die Ungewissheit nahm unser Leben völlig in Beschlag. Ich komme auf das Anfangszitat zurück: Der 6. Patriarch sagte zu Fada, dass die bloße Rezitation des Worts ohne Geist dazu führt, dass das Sutra den Sprecher umdreht. Nur, wenn Rezitation und übender Geist zusammenwirken, ist der Sprecher in der Lage, das Sutra umzudrehen.

Übertragen auf unsere Situation hieß das: Würde uns die Ungewissheit dieser Zeit in demselben Sinne umkehren, oder würden unsere Praxis und die Weisheit, die sich aus der Praxis ergibt, uns helfen, die Ungewissheit in eine Zeremonie zu verwandeln, die unsere Sanghas anspricht?

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Ein bedeutender Lehrer sagte mir vor langer Zeit, dass das Schicksal dreimal an unsere Türe pocht: Die Corona-Pandemie war das erste Klopfen. Schweren Herzens schlossen wir das Zen Zentrum Wien und intensivierten unsere Praxis. Aber es sollte noch viel mehr kommen…

Das zweite Klopfen war, dass ein lieber Freund und Kollege ernsthaft erkrankte.

Das dritte Klopfen brach sozusagen über meinen Kopf herein und fuhr mir durchs Herz, als zwei geliebte Freunde  – die eminenten europäische Zen-Lehrer Myong Hae Sunim PSN und Olek Suk PSN  – innerhalb von nur sechs Wochen verstarben. Ihre Vergänglichkeit fühlte sich so dauerhaft an!

In dem schönen Buch „Die Verborgene Lampe“ fand ich folgendes Kong-an:

Eine Frau, die trauert, sagt zum Chan-Meister:

„Meister, wahrhafte Vergänglichkeit ist vergänglich, aber Abwesenheit ist dauerhaft.

Er antwortet:  In der Tat.“

Was hat diese Frau verstanden? 

Die Abwesenheit der Körper von Myong Hae Sunim PSN und Oleg Suk PSN ist dauerhaft.  Aber das helle Licht, das sie ausstrahlten, als sie noch bei uns waren, leuchtet weiterhin für uns.

Vor kurzem sprach ich mit meinem Dharma-Bruder Barry Briggs PSN darüber. Er  schickte mir das folgende Gedicht von Kobayashi Issa:

Diese Welt der Tautropfen

Ist nur eine Welt aus Tautropfen

Und doch, und doch . . .

Diese letzten beiden Worte: und doch … und doch … weisen auf unsere zerbrechliche und vergängliche Existenz hin. Wir sind in unaufhaltsamem Wandel begriffen.

„und doch…. „: Diese beiden Worte enthalten unsere Hoffnungen, Wünsche und Sehnsüchte. Diese Sehnsucht führt uns zu der großen Frage zurück: „Was bin ich? Was ist meine Bestimmung auf dieser Welt?“

„und doch…. „: Wenn wir eine zweite Chance hätten, was würden wir tun oder sagen? Welche Risiken würden wir eingehen? Würden wir diesmal (endlich) jene liebevollen Worte aussprechen, die wir zuvor unterließen? Was wäre, wenn wir unser Leben immer so leben könnten als handle es sich dabei um eine zweite Chance?

„und doch“…. versuchen wir – immer wieder  – und immer wieder –, wahre Menschen zu sein. Wir wenden unsere Augen nach innen und setzen unsere Untersuchungen fort. Darauf wies der 6. Patriarch hin, als er sagte, dass wir nur mit Weisheit und Praxis das Sutra drehen können.

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Wir nennen diese Zeremonie eine Transmission/Übertragung. Deshalb fragen wir uns natürlich, was hier übertragen wird. –  In gewissem Sinne erscheint Buddhas Lehre von den „geeigneten Mitteln“ (skillful means) in Form unserer immateriellen Bildschirm-Präsenzen.

Zu Beginn der Corona-Pandemie haben einige von uns gegen die Verwendung des Computers innerhalb der Sanghas gemurrt. Andere dahingegen versuchten spielerisch alles Mögliche und drehten an sämtlichen Knöpfen. Es heißt, dass manche Menschen den Göttinnen bereitwillig folgen, während andere mitgeschleift werden. Zu welcher Gruppe gehören Sie?

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Für mich persönlich ereignete sich Anfang der 90er Jahre – im Zuge meines ersten Besuchs bei Zen-Meister Seung Sahn im Dharma Zen Center (Los Angeles)  – eine der kraftvollsten Übertragungen. Ich wollte ihn persönlich kennenlernen, um mir ein besseres Bild von ihm zu machen.

Ich schätzte seine Lehre in hohem Maße und war der kleinen Sangha in Berlin sehr verbunden. Zuvor hatte ich einige Jahre in der Gemeinschaft um einen Mediationslehrer verbracht, wo es zu unheilvollen Dynamiken kam. Ich merkte, dass ich der Verantwortung ausgewichen war, diesen Lehrer persönlich unter die Lupe zu nehmen. Diesen Fehler wollte ich kein zweites Mal begehen. Die persönliche Begegnung mit dem großen Zen-Meister sollte die Grundlage für eine verantwortungsvolle und bewusste Mitwirkung in seiner Gemeinschaft sein.

Ich stellte mich mit drei vorbereiteten Fragen bei Zen-Meister Seung Sahn ein.

Die erste Frage bezog sich auf die schmerzlichen Ereignisse, deren Zeugin ich in der erwähnten Gemeinschaft gewesen war. Zen-Meister Seung Sahn hörte aufmerksam zu.  Seine Antwort war erstaunlich und erfolgte augenblicklich: „BEREITS VERGANGEN!“ – Mein Verstand stockte und das überstandene Drama löste sich in Luft auf.

Meine zweite Frage war: „Was sage ich, wenn mich Adepten dieses Lehrers fragen, was ich über ihn weiß? Soll ich es ihnen sagen oder nicht?“– Erneut antwortete Zen-Meister Seung Sahn augenblicklich: „SAG IHNEN, DU HAST ES VERGESSEN!“

Er riet nicht zur Lüge. Es ging ihm nicht um jene entfernte Angelegenheit. Sondern er wies ausschließlich auf den unmittelbaren Moment unseres Dialogs und Beisammenseins hin. Ich fühlte die große Klarheit, im Jetzt zu erwachen.

Die dritte Frage betraf den Bau eines Zen-Tempels in Berlin. Wir waren damals eine kleine Sangha. Dank der Großzügigkeit eines Sangha-Freundes begannen wir, über den möglichen Ausbau eines großen Zen-Zentrums zu diskutieren: Sollten wir dafür das Wachsen der Sangha abwarten oder sofort mit dem Bau beginnen? – Zen-Meister Seung Sahn antwortete: „Das ist die einzig erhebliche Frage, die Sie heute gestellt haben. Fangen Sie sofort mit dem Bau an!“

Nach diesem Treffen wusste ich, dass ich – selbst wenn ich Zen-Meister Seung Sahn niemals wiedersehen sollte – die volle Aufmerksamkeit eines erwachten Geistes (awakened mind) erhalten hatte: Dies hat mich nachhaltig geprägt: Fast 30 Jahre später bin ich hier und Teil der von ihm gegründeten Schule. Das Berliner Zen-Zentrum ist mittlerweile ein offenes Haus für jeden, der sich mit der Zen-Meditationspraxis beschäftigen möchte.

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Wir leben in wahrlich „interessanten“ Zeiten: Die Corona-Pandemie hat mit rasiermesserscharfer Klarheit unsere Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit offenbart.

Wir sind derzeit Zeugen von planetarischen Katastrophen und erfahren mit Bestürzung von weltweiten Bränden, Überschwemmungen und Stürmen. Millionen von Klimamigranten sind unterwegs. Daneben sind wir auch mit medialen Unwägbarkeiten in der Kommunikation konfrontiert: Die zunehmende Nutzung von Internet und Smartphones scheint paradoxerweise der Isolation vieler Menschen Vorschub zu leisten.

Wir sehen und wir wissen um das große Ausmaß von Angst und Leid in dieser Welt. Welche Weisheit vermag, es mit diesen Billionen von Klagen aufzunehmen? – Wie aber sähe unser Zustand aus, wenn es umgekehrt wäre: Wenn wir nämlich stattdessen durch auf Weisheit begründete Taten die Welt verändern?

Was sind nun die „geeigneten Mittel“ (skillful means), die wir in diesen Zeiten benötigen? Die Praxis hat uns den Schatz der Sangha gegeben. Sie ist unser Zufluchtsort und eine Blume in unserem gemeinsamen Handeln.

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(Hebt den Zen-Stock über ihren Kopf und schlägt mit dem Stock auf den Tisch).

Der Buddha lehrte unendliche Dharmas, um unendlichen Karmas zu helfen.

(Hebt den Zen-Stock über ihren Kopf und schlägt mit dem Stock auf den Tisch).

Keine Dharmas – keine Karmas – keine Zeit

(Hebt den Zen-Stock über ihren Kopf und schlägt mit dem Stock auf den Tisch).

Unendliche Möglichkeiten, allen Wesen zu helfen! Fangen wir an!

KATZ!

Gleich schalten wir unsere Computer aus. Wir machen Mittagessen für die Familie und teilen eine Extraportion mit dem Nachbarn.

English Version
➾ Hyon Ja Soen Sa Nim Transmission Speech @ YouTube

 

Transmission Ceremony: Hyon Ja SSN<br /> Kwan um Zen School Europe/Zen Centre Vienna<br /> Zen Centre Vienna, Sept 26, 2020

Transmission Ceremony: Jo-Alma Potter
Kwan um Zen School Europe
Zen Centre Vienna, Sept 26, 2020